Das Fach Alte Geschichte
Die Alte Geschichte verhilft dem modernen Menschen zur Rückbesinnung darauf, welche Errungenschaften wir der Antike verdanken und wie leicht diese - in dem unablässigen kulturellen Wandel - wieder verloren gehen können. Die historische Reflexion erfolgt dabei hauptsächlich unter sechs Gesichtspunkten:
Erstens haben die Griechen - und auch die Römer - erstmals der Menschheit vorgemacht, daß die Menschen als Bürger sich selber ihre Gesetze geben können, unabhängig von Göttern oder einer göttlichen Offenbarung; diese menschliche Autonomie ist, wie sich heute zunehmend zeigt, mitnichten selbstverständlich. Zweitens dachten die Griechen und die Römer über die Unterschiede von politischen Verfassungen nach; und sie änderten diese Verfassungen auch - gewaltsam oder friedlich -; sie diskutierten die Kosten solcher Verfassungsänderungen in einer Klarheit, wie das bis zur Französischen Revolution nirgendwo geschah. Drittens löste man das Problem, wie Herrschaft zu begrenzen und zu kontrollieren sei, in der griechisch-römischen Antike auf eine Weise praktisch, die in vieler Hinsicht bis heute vorbildlich und teilweise noch gültig geblieben ist; die Furcht vor dem Missbrauch von politischer Macht stimulierte ihr politisches Denken - sogar in der römischen Kaiserzeit - ebenso wie ihre Literatur und die Kunst. Viertens entstanden erstmals in der griechischen Kultur Verfahren, mit denen ganze Bürgerschaften auf geregelte und institutionalisierte Weise gemeinsame Beschlüsse fassen konnten; dafür war die Mehrheitsentscheidung (eine weltgeschichtlich seltene Praxis) eine entscheidende Voraussetzung; ohne sie ist keine Demokratie möglich. Fünftens haben die griechischen Städte wie auch Rom Beispiele dafür geliefert, daß freies politisches Leben vor allem Teilhabe am gemeinschaftlichen Entscheiden ist; sie haben vorgeführt, daß gemeinsames Entscheiden auf der öffentlichen Debatte beruht, wo das Argument und das Überzeugen zur Geltung kommen soll, wenn es gilt, die politische Freiheit zu bewahren. Sechstens: obwohl es viele und auch bedeutendere sklavistische Gesellschaften in der Weltgeschichte gab, haben Griechen und Römer den Gegensatz von Freiheit und Sklaverei konsequenter durchdacht als sämtliche andere Kulturen vor dem Aufkommen des Abolitionismus.
Damit ist die Alte Geschichte einerseits die Politische Anthropologie der Antike. Anderseits beschäftigt sich das Fach mit den vielfältigen Lebensformen in den antiken Gesellschaften, den religiösen Vorstellungen wie den familialen und sozialen Normen, Werten und Praktiken und leistet die Arbeit einer Kulturanthropologie antiker Gesellschaften.